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Samen und ihre Verbreitung
Pflanzen sind fest in der Erde verwurzelt. Trotzdem können sie sich von der Stelle bewegen…
Wenn jetzt der Wind so manchen Samen an uns vorbeiträgt oder andere sich an uns hängen, fällt uns das besonders auf. Die Natur hat eine Vielfalt an Mechanismen entwickelt, die Pflanzen bei der Verbreitung ihrer Samen unterstützen. Samen werden durch den Menschen, Tiere, Wind und Wasser verbreitet, tragen aber auch selbst ihren Teil zur Verbreitung bei.
Das Leben von Pflanzen, Menschen und Tieren ist auf interessante, vielfältige Weise direkt miteinander verbunden. Die Natur ist wirklich erfinderisch, auch bei der Ausbreitung von Samen durch Tiere: Zur Vorsorge deponieren etwa Eichelhäher, Krähen, Spechte und Eichhörnchen Nahrung: Überschüssige Nüsse werden in den Verstecken „vergessen“ und haben so in der Erde auch noch einen Startvorteil.
Wahrhaft anhänglich sind Kletthafter. Die namensgebende Klette, aber auch der Odermennig, viele Labkrautarten oder Doldenblütler wie die Karotte besitzen spezielle Anhaftungsmechanismen: Nadeln, Haken oder Dornen bleiben am Fell oder an den Federn von Tieren haften und werden so transportiert. Auch die Grannen von Gräsern wie Chinaschilf oder Mäusegerste, im Volksmund auch „Schliafhansl“ genannt, können mit Tier und Mensch, begleitet von unangenehmem Kratzen, weiterwandern. Klebhafter wie die Eichenmistel oder manche Gartenkürbisse nutzen dagegen klebrige Substanzen. Adhäsionshafter wie Birke, Sauerampfer, Seerose und Sumpf-Schwertlilie bleiben lieber an feuchten Oberflächen haften.
Meist sind es Säugetiere und Vögel, aber auch Insekten, die für sie schmackhafte Samen mit der Nahrung aufnehmen und sie später wieder ausscheiden. Manche Pflanzen weisen dafür z.B. Früchte in leuchtenden Farben auf, die fleischig und weich sind und noch dazu angenehm riechen. Ihre innen liegenden Samenhüllen sind hart genug, um dem Kauen oder diversen Verdauungssäften zu widerstehen. Wie effektiv das funktioniert, zeigen „Tomatenwälder“, die nach Klärschlammaufbringung auf Äckern wachsen. Eine Passage durch den Verdauungstrakt von Vögeln und Säugetieren machen die nicht allzu großen Samen von Erdbeere, Himbeere Brombeere, Kirsche, Apfel und Birne oder Gurke. Auch für uns giftige Pflanzen wie Efeu, Eibe, Liguster, Tollkirsche, Seidelbast verbreiten sich über diese Darmpassage.
Myrmekochore Pflanzen werden durch Ameisen verbreitet. Dazu zählen Leberblümchen und Schneeglöckchen, Veilchen und Stiefmütterchen, Buschwindröschen und Schöllkraut und viele Wiesenblumen.
Mit Hilfe des Menschen haben Pflanzen vollkommen neue Lebensräume erobert. Zu denen, die mit dem Menschen wandern, zählen absichtlich verbreitete Kulturpflanzen wie etwa der Weizen oder viele Gemüsearten. Andere wie die unabsichtlich verbreitete Kornrade könnten sich ohne menschliche Hilfe nicht versamen. Manche bleiben den Menschen durch unbeabsichtigten Transport anhänglich, so zum Beispiel der Schwarze Nachtschatten oder Beifußblättrige Ambrosie/ Ragweed, ein invasiver Neophyt. Auch durch Autoreifen, an Schiffsrümpfen oder an Holzpaletten wird so manche Fernreise angetreten.
Schon die ersten Landpflanzen der Erde setzten auf die Verbreitung durch Wind, der damit ursprünglichsten Form der Pflanzenausbreitung. Bei stärkerem Wind wird die Pflanze „durchgeschüttelt“, in jedem Fall aber vom Winde verweht. Federleicht schweben etwa die Sommerfliedersamen in neue Gefilde. Wie im Western kann der Wind auch am Boden ansetzen und Pflanzen wie den Feld-Mannstreu über den Boden rollen lassen. Pflanzen haben aber auch teilweise komplizierte Flugmechanismen entwickelt, die die Samen über weitere Distanzen von der Mutterpflanze wegtragen.
Fallschirmartige Flieger können dabei durchaus erfolgreich sein, wie etwa Baldrian, Spornblume oder die Pusteblume Löwenzahn, Bocksbart und andere Korbblütler zeigen. Auch mit leichten Federschweifen kommen Clematis oder Lampenputzergras weit. Jetzt stechen auch die Früchte verschiedener Ahornarten oder Linden wegen ihres auffallenden propellerartigen Fluges ins Auge. An Frisbees erinnern die Samen von Ulmen, die in einen Flügel eingeschlossen sind.
Zu kleinen Ballons blasen sich Seerosen auf, um vom Wind erfasst zu werden. Darüber geht es für manche Samen auch in höhere Sphären: Stürme, senkrechte, vertikale und horizontale Luftströme tragen zur Verbreitung etwa von feinen Orchideensamen bei, die so bis zu 3000 km weit kommen.
Wer nicht fliegen kann, der muss auf andere Verbreitungsmechanismen setzen: Kapseln, Schoten, Balgfrüchte werden dazu aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Windstreuung beugen sich die Kapseln von Mohn, Akelei und Lichtnelke. Ihnen hilft die Luftströmung, einen möglichst weiten Radius rund um die Samenkapsel zu erobern. Wenn der Oberrand sich seitlich neigt, fallen die Samen wie bei einem Salzstreuer durch die dort befindlichen Löcher.
Bist wo angrennt? Das könnten sich die Samen von Engelstrompeten und Bilsenkraut fragen, die erst durch Tiere aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Auch sie verteilen die Samen wie ein Salzstreuer.
Wasser marsch! Manche Samen haben sich aufs Schwimmen verlegt, insbesondere wenn sie nah am Wasser vorkommen. Wie Schwimmflügerl funktionieren dann Schwimmvorrichtungen in Form von Luftsäckchen bei Kalebassen. Die Samen der Kokospalme legen auf diese Weise weite Wege zurück. Hierzulande kleben sich die leicht konkaven flachen Samen der Sumpf-Schwertlilie wie Saugnäpfe an die Beine von Wasservögeln. Die winzigen Wasserlinsen machen sich gleich als ganze Pflanze auf deren Gefieder auf die Reise. Mit dem Wasser strömen Seerosen, Sumpf-Schwertlilien und Hornblatt weiter. Manchen Regenballisten wie dem Hirtentäschel und Portulak helfen aufschlagende Regentropfen, anderen, den Regenschwemmlingen, das Wegschwemmen der Samen.
Andere Samen haben sich eigene Bewegungsmuster zugelegt: Zu einer der Selbstausbreitungsmechanismen zählt die Kugelform für den Kullereffekt. Ein Apfel fällt aber nicht weit vom Stamm. Nachdem befruchtete Pflanzen Samen gebildet haben, fallen einige davon dank der Schwerkraft neben der Pflanze auf den Boden. Um eine Spur weiterzukommen, machen Eicheln, Kastanien, Walnüsse oder Ginkgo mit ihren schweren, rundlichen Samen auf diese Weise mehrere Meter wett. Gegessen und wiederausgeschieden zu werden bringt Pflanzen dabei ein gutes Stück weiter.
Weit kommen Samen auch, wenn sie durch die Luft geschleudert werden. Das wird durch die beim Wachsen des Samens entstehende Spannung in den Samenschoten oder durch sprengende Zellwände ermöglicht. Mediterrane Spritzgurken zählen zu den Saftdruckschleudern zählen, andere Pflanzen wie Storchschnabel, Ginster und Platterbse müssen austrocknen, um Samen zu schleudern. Springkräuter wie Impatiens noli-tangere oder Rühr-mich-nicht-an können ein Lied davon singen. Der Sandbüchsenbaum schießt erfreulicherweise nicht bei uns seine Samen kanonenkugelartig in die Gegend mit 250 km/h bis zu 45 m weit, was durchaus für blaue Flecken sorgen kann.
Reiherschnabel und Kuhschellen bohren auf der Suche nach kostbarem Nass ihre Samen in die Erde. Die Grannen des Federgrases wirken wie flaumige Vogelfedern. Vom Winde verweht, bohren sie sich mithilfe einer am Grund sitzenden, stechenden Bohrspitze in die Erde.
Einige Pflanzen wie Erdbeeren oder Zymbelkraut können lange oberirdische Ausläufer ausbilden. An geeigneten Stellen bilden sie Wurzeln und damit neue Pflänzchen heran. Wo Standortvoraussetzungen gerade nicht günstig sind oder das Wetter zu kalt ist, sichert diese vegetative Ausbreitung die Vermehrung. Auf Nummer sicher geht z.B. auch die Melde, die sofortkeimende Samen und auch später keimende Samen an derselben Pflanze trägt. Nur eines vieler Modelle, deren Erfolg den Pflanzen recht gibt.
Wer anderen eine Blume sät, blüht selbst auf!
Und wer in der Nähe Saatgut tauschen will, fragt am besten nach in der nächsten NÖ-Bibliothek nach. Infos unter https://www.treffpunkt-bibliothek.at/angebote/noe-saatgutbibliotheken/ sowie im Blog unter https://blog.naturimgarten.at/beitrag/saatgutbibliothek-noe-natur-im-garten.html.
Fotos: „Natur im Garten“, Beneš-Oeller, Brocks, Haiden