Wermut ansetzen
Wohltuend bitter
Mein Neffe Arnold tut es, Nachbarin Franziska tut es (und nicht erst seit gestern), und ich bin auch schon fast so weit, den eigenen Wermut anzusetzen. Es ist nämlich gar nicht so schwer, und man kann eigene Geschmacksnoten zusammenstellen, genießen und gleichzeitig den Magen beruhigen.
Schon in meiner Jugend ging ich, wenn ich einmal einen flauen Magen oder eine Magen-Darm-Verstimmung hatte, in den Garten der Eltern, pflückte ein paar Blättchen echten Wermutkrauts (Artemisia absinthium), überbrühte diese in einer Tasse mit heißem Wasser und trank das lauwarm abgekühlte Getränk in kleinen Schlucken. Das fiel mir zwar nicht leicht, war es doch widerlich bitter, half aber meist sehr schnell. Echt-Wermut sollte meiner Meinung nach deshalb in keinem Garten fehlen. Meine Kollegin Simone hat mir berichtet, dass sogar auf den Philippinen der Echte Wermut für Tee zur Immunstärkung angebaut und regelmäßig als Tee getrunken wird, mehr als bei uns.
Der Wermut ist ein ausdauerndes Heilkraut mit silbrigen Blättern und Wuchshöhen bis 1,5 m aus der Gattung Artemisia. Auch andere Artemisia-Arten sind bekannt unter anderem aus englischen Staudenrabatten, denen sie durch ihr graues Laub Ruhe und Würde verleihen. Und wenn man Wikipedia glauben darf, wird das Getränk Wermut gemäß EU-Verordnung Nr. 251/2014 vom 26. Februar 2014 definiert als „Aromatisierter Wein, der mit Alkohol versetzt wurde, und dessen charakteristisches Aroma durch Verwendung geeigneter, aus Artemisia-Arten gewonnener Stoffe erzielt wird.“
Es könnten also außer dem echten Wermut eventuell auch andere Artemisia-Arten zugesetzt werden. Und derer gibt es einige. Allein wenn ich im Webshop der Staudengärtnerei Gaissmayer unter www.gaissmayer.de/web/shop/ als Suchbegriff „Artemisia“ eingebe, finden sich 18 verschiedene Arten und Sorten: die Eberraute (Artemisia abrotanum), ihre zitronige Variante `Citrina´ und die Französische `Courson´-Eberraute, Echter Wermut und seine Variante `Lambrook Mist` - der silbrige Garten-Wermut, Beifuß (Artemisia annua und A. vulgaris), Französischer und Deutscher Estragon (Artemisia dracunculus var. sativus), Elfenraute (Artemisia lactiflora) samt Sorten, Silberraute (Artemisia ludoviciana var. albula) in Sorten, Römischer Wermut (Artemisia pontica), die Spezi-Pflanze (Artemisia procera), die Polster-Silberraute (Artemisa schmidtiana `Nana´) und schließlich das Chinesische Moxakraut (Artemisia species `China´).
Sie alle sind an karge und trockene Verhältnisse angepasst. Stehen sie dagegen in zu fetter Erde, neigen sie oft einmal zum Umfallen - so beobachtet bei der Silberraute `Silver Queen´ im von mir betreuten Musterschulgarten auf der GARTEN TULLN. Dort haben wir die Pflanze, die sich durch Ausläufer ausbreitet, nicht einmal gesetzt. Sie fand sich mit der angelieferten Erde, die als Wall rund ums „offene Klassenzimmer“ aufgeschüttet wurde, von selbst ein und wird von uns, die den Garten pflegen, eher als Unkraut wahrgenommen…
Viele Artemisien wurden aber auch bewusst auf der GARTEN TULLN gepflanzt und sind inzwischen prachtvolle mehrjährige Stöcke. Allerdings war es mir schon lange ein Rätsel, wer bitte eine Eberraute als Würzkraut verwenden soll? Sie ist einfach zu herb und zu intensiv für meinen Geschmack. Aber jetzt geht es mir wie Wolfgang Ambros. „Es is ma kloar“: diese Pflanzen existieren in der Hauptsache, um sie in Alkohol anzusetzen…
Den bitteren Wermuttee meiner Jugend NACH einem opulenten Essen zu trinken, stellte sich übrigens schon damals als Fehler heraus (und reizte fast zum Erbrechen. Auch Schwangere sollten sich vor einem Übermaß an Wermut hüten.) Nur VOR dem Essen tat er mir gut. Wermut in Maßen ist ein wunderbarer Aperitif – und schmeckt besonders in Form von Wermutwein, auf Englisch und Französisch Vermouth. Es gibt ihn in Rot, Weiß oder Rosé. Weithin bekannt ist beispielsweise Martini.
Erfunden wurde das Getränk von einem gewissen Herrn Carpano in Turin Ende des 18. Jahrhunderts. Durch Hinzugabe von Zucker, Karamell und ca. 30 verschiedenen Kräuter sollte es eine Alternative zum Rotwein darstellen und wurde sehr schnell populär. In Frankreich entstanden trockenere Varianten des Vermouths. Neffe Arnold hat schon verschiedenes ausprobiert: trocken aus Weiß- oder Rosé-Weinen mit Quittenbrand gemischt, oder etwas süßer und rot mit weihnachtlich zimtiger Gewürznote (fast wie Glühwein, nur nicht heiß). Vodka, so meint er, würde sich nicht so gut in die Geschmackskomposition einfügen wie Obstbrände. Franziska macht ihn aus Weißwein und Obstler, ebenfalls weihnachtlich angehaucht und grundsätzlich etwas süßer und stärker – wegen der Haltbarkeit...
Wikipedia verrät, dass er „extra trocken“ ist, wenn er einen Zuckergehalt von weniger als 30 g je Liter und einen Gesamtalkoholgehalt von mindestens 15 vol. % aufweist, „trocken“ bei weniger als 50 g Zucker je Liter und einem Gesamtalkoholgehalt von mindestens 16 vol. % (und in diesem Bereich möchte ich mich auch bewegen). Bei einem Zuckergehalt zwischen 50 und 90 g je Liter wäre er „halbtrocken“, bis 130 g „lieblich“ und darüber „süß“.
Zum Ansetzen eines alkoholischen Wermuts braucht man pro Liter nur eine relativ kleine Menge des Krautes, vorher angetrocknet, sowie andere Kräuter und Gewürze nach Geschmack. Arnold empfiehlt, nicht mehr als sieben verschiedene Aromazutaten zu verwenden. Das hat er beim Ansetzen von Gin gelernt. Dieser ist purer Schnaps mit Auszügen aus Kräutern und Gewürzen. Im Wermut oder Bitter ist auf jeden Fall immer Wermutkraut (Artemisia-Arten) und Wein vorhanden und nur so viel Schnaps, dass ein Alkoholgehalt über 14,5 und unter 22 Volumenprozent erzielt wird - so die offizielle Vorgabe, um die Mischung Wermut nennen zu dürfen.
Mich hat sofort beschäftigt, wie ich einen gewünschten Alkoholgehalt erzielen kann. Zur Frage, wieviel 50 Vol.%-igen Schnaps ich in 1l Wein von 10 Vol. % mischen muss, um ein Getränk mit 20 Vol. % zu erzielen, stellte ich folgende Gleichung auf: 1 * 0,1 + x * 0,5 = (1+x) * 0,2. Nach Auflösung der Gleichung kam heraus x=1/3 (Einheit: Liter) und unter https://www.schnapsbrennen.at/tools/berechnungen/ erhielt ich dasselbe Ergebnis: es wären 0,33 l vom Schnaps erforderlich. Arnold macht seinen Wermut aber einfach nach Gefühl und Geschmack, vielleicht sogar leichter als 14,5 % und somit eigentlich einen „weinhaltigen Aperitif“ und nicht einen Vermouth. Solche Definitionen sind aber auch Nebensache für den Hausgebrauch. Natürlich gilt: je höher der Zucker- und Alkoholgehalt ist, desto haltbarer das Getränk.
Und so einfach geht’s:
Wein und die entsprechende Menge Schnaps in eine Ansatzflasche gießen, Kräuter und Gewürze hinzufügen – in unserem Fall Wermut, etwas Zitronenverbene, Zitronenschale, Nelke, Sternanis, einige Korianderkörner, Fenchel- und Anissamen sowie vorher mit dem Messer zerdrückten Kardamom – und die gewünschte Menge Zucker über einen Trichter einfüllen. Arnold verwendete einige TL auf 2 Liter Wein, so viel, dass der Boden der Flasche angezuckert war. Das Ganze lässt man etwa zwei Wochen in einer schattigen Kammer gut durchziehen, filtert ab und füllt es in hübsche Flaschen.
Außerdem fügte er einen kleinen Schuss eines alten Schwedenbitters hinzu, den er zufällig da hatte, weil all die Kräuter darin auch für einen Wermut verwendet werden könnten und gerade nicht genügend anderer Schnaps da war.
Bei „Bitters“ im Handel können noch folgende Zutaten im Spiel sein:
- Bitter: Chinarinde, Kalmus, Süßholz, Wermut, Angelikawurzel, Schwertlilienwurzel, …
- Zitrus: Schalen von Orangen, Zitronen, Limetten, Bitterorange oder Pomelo, …
- Kräuter: Wacholder, Oregano, Lavendel, Majoran, Ysop, Ingwer, Koriander, Salbei, …
Ich persönlich habe vor, meinen eigenen Wermut eher nur mit selbst gewählten Zutaten und nicht mit vorgefertigten Kräutermischungen zuzubereiten. Unter anderem möchte ich die Blüten meines geliebten Strauchbasilikums dazu verwenden, die ich entferne, wenn ich es vor der Kälte in einen kühlen, hellen Innenraum rette. Und bevor man einer sensiblen Wermut-Pflanze durch starken Rückschnitt vor dem Winter zu sehr zusetzt, kann man auch Wermuttee aus der Apotheke verwenden.
Ein letzter Tipp von Arnold: verwende nur Zutaten, die Dir auch ungemischt gut munden, guten Wein (wenn auch nicht den besten) und keinen Fusel. Dann wird auch die Mischung Dir schmecken. Santé!
Fotos: Anna Leithner, Margit Beneš-Oeller, Natur im Garten