Kiesgärten ohne Grauen
Füllhorn oder Wundertüte?
„Gärten des Grauens“ heißt eine Facebook-Gruppe und ein gleichnamiges Buch von Ulf Soltau, in dem skurril-bizarre Auswüchse der deutschen Gartenkultur humoristisch auf die Schaufel genommen werden. Auch Österreich kann mit solchen Beispielen kreativer Gartengestaltung aufwarten, sogar mit Gorilla Gardening. In manchen Vorgärten, die geprägt sind von Ordnung, Sauberkeit und Kontrolle blitzt nämlich eher eine Prise des ganz normalen Wahnsinns durch (allen voran der Wahn, der Garten könnte in unvorhergesehene Arbeit ausarten) als ein lebendes Pflänzchen an falscher Stelle. Die Wundertüte hat hier das Füllhorn weitgehend verdrängt und Wildwuchs keine Chance, es sei denn, ein Haus in der Reihe bleibt länger leer.
Ein Blick auf die genannte Facebook-Seite ist lohnend, kann aber auch durch eine Radtour durch die Vorstadt ersetzt werden. Die Palette an Möglichkeiten ist groß und reicht von durchstrukturierten reinweißen, grauen bis schwarzen oder auch farbigen Kies-, Splitt- und Schotter- bzw. Pflasterflächen, einheitlich oder gemustert, eventuell mit Trennelementen dazwischen oder Arrangements aus knallbunten Glassteinen – zum Beispiel in blitzblau als stilisierter Bachlauf inszeniert und mit einem Miniaturbrückenbogen als Weg versehen. Akzente werden gerne gesetzt durch bunt gefärbte Metall- bis Kunststofftiere, Betonblöcke, „Edelsteine“, Gabionen in Säulenform oder mit bunten Bällen befüllt bzw. Begrenzungen aus Metall- oder Plastikzaunelementen. Sehr sparsam zum Einsatz hingegen kommen bei der Kiesgartengestaltung Marke „Baumarkt meets One Euro Shop“ die Pflanzen - als isolierte exotische oder bunte Elemente in Steinmulch gesetzt oder in Trögen bzw. Balkonkistchen effektvoll platziert, auf dass sie dem Saharaklima der Vorstadtoase standhalten. Sehr beliebt ist auch Topiary - etwa japanisch angehauchte oder spiralförmige Schnittgehölze. Wir wollen gar nicht wissen, was sich unter der Kiesdecke noch alles versteckt an Plastikfolien und Trennvliesen.
Mehr Kies?
Mit unseren Vorstellungen eines Naturgartens haben diese Gestaltungen wenig gemeinsam, weil es dort eigentlich darum geht, möglichst wenig Grün aufkommen zu lassen. Und die wenigen Pflanzen, die zum Einsatz kommen, haben obendrein meist gar nichts zu bieten für die heimische Tierwelt.
Dabei ist Kies nicht nur ein Synonym für Reichtum, sondern kann sinnvoll eingesetzt den Garten tatsächlich bereichern, auch den Naturgarten. Haben Sie schon einmal einen Stein in der größten Trockenheit vom Boden abgelöst und umgedreht? Darunter ist es immer etwas feuchter als darüber. Das heißt unter einer ganzen Schicht von Steinchen hält sich die Feuchtigkeit gut, obwohl sie darüber hinaus die Wärme speichern. Bei einem entspannt-gärtnerischem Umgang ist das ein sehr fruchtbarer Grund. Diese Feuchte kann etwa auch an trockenen Stellen unter flach wurzelnden Bäumen ausgenutzt werden, wo Wurzeln von Stauden sich hier das kostbare Nass holen können. Kies- oder Splittmulchbeete mit an diesen Standort angepassten Pflanzen, insbesondere heimischen Wildstauden für trockene Freiflächen, sind nicht nur pflegeleicht und schön, sondern können auch den Insekten immens viel bieten.
Robuste Pflanzenvielfalt
Und die Auswahl an Pflanzen, die hier gedeihen, ist riesig: Da gibt es zum einen die Kräuter aus der Familie der Lippenblütler wie Bergbohnenkraut, Brandkraut, Calamintha oder Steinquendel, Lavendel, Katzenminze, Oregano, diverse Salbeiarten, Gamander, Thymian und Ziest – allesamt heiß umschwärmt von Bienen, Hummeln und Schmetterlingen. ]
Mannstreu aus der Familie der Doldenblütler, auch in sehr schönen Blauschattierungen erhältlich, ist ein Insektenmagnet ohnegleichen.
Viele Korbblütler mögen den steinigen Boden gern wie etwa diejenigen mit der Sonne im Namen, sowie Astern, Färberkamille, Flockenblume, Heiligenkraut, Kugeldistel, Mädchenauge, Rasselblume und Zwerg-Alant.
Außerdem gedeihen hier sehr gut Blauraute, Ehrenpreis, Fackellilien, Flachs und Goldflachs, Frühlings-Fingerkraut, Diptam, Graslilie, Johanniskraut, Kuhschelle, Prachtkerze, Schwertlilien der Barbata-Gruppe, Sedum-Arten, Spornblume, Königs-, Nacht- und Steppenkerzen, Storchenschnäbel, Witwenblumen, Winterheckenzwiebel, Wolfsmilch und Yucca.
Auch Taglilien wurden schon in Splittmulchbeeten gesichtet sowie zahlreiche Stauden und Gräser des Lebensbereiches Freifläche. Die Auswahl ist mit Gräsern noch größer: der bogig überhängende Atlas-Schwingel und Blaustrahlhafer, das niedrigere Blaugras, Federgras, Federborsten- oder Lampenputzergras, aber auch das stattliche, meist straffer nach oben gerichtete Chinaschilf, Rutenhirse, Diamant- und Reitgras, ganz zu schweigen von trockenheitsverträglichen Gehölzen für den Hintergrund einer solchen Pflanzung.
Gut gebaut
Ein Splittmulchbeet ist je nach Lage erst ab einer Fläche von mindestens 5 m² bis 10 m² sinnvoll, da ansonsten Material und Pflanzung nicht zur Wirkung kommen. Für die Anlage trägt man die obersten 20 cm des Bodens ab, bringt 10 cm Splitt (4/8/16) oder ein Splitt-Sand-Gemisch auf und arbeitet dieses in den Boden ein. Als Grunddüngung kann man je nach Pflanzenbedarf 15-60 g Horngrieß/ Hornspäne oder eine 2 cm starke Kompostschicht pro m² auftragen und einarbeiten. Das sogenannte Feinplanum für die Pflanzung, die etwa 10 cm unter Nullniveau liegen sollte, kann man herstellen, indem man die aufbereitete Fläche glattrecht und mit der Vorderkante des Rechens etwas andrückt. Darauf kommt das mineralische Mulchmaterial mit der etwas gröberen Körnung 8/16, das ebenfalls mit einer Schichtdicke von etwa 10 cm aufgebracht und planiert wird. Gepflanzt wird direkt in die Mulchschicht mit direktem Bodenkontakt der Pflanzenwurzeln.
Rund oder eckig?
Sowohl Kies als auch Splitt gibt es in verschiedenen Kornstärken zwischen 2 bis 63 mm, unter 2 mm Korngröße spricht man von Sand, über 63 mm von Schotter. Der Unterschied zwischen ihnen ist, dass Kies abgerundete und Splitt kantige Körner aufweist. Für ein luftig-stabiles Bodengefüge ist das Kantkorn besser geeignet, weil es sich verzahnt und nicht „auseinanderrinnt“ beim Betreten. Man denke nur an eine Handvoll Murmeln oder eine ebenso große Menge Würfel, Platten und Pyramiden ähnlicher Größe. Welche der beiden Mischungen wird eher beisammen bleiben mit luftigen Zwischenräumen, wenn wir sie auf den Boden schütten?
Belagsmöglichkeiten
Es gibt auch noch andere nicht organische Materialien, die als Mulch Verwendung finden. Sorgfältig ausgewählt betonen sie unterschiedliche Gartenbereiche. Die Flächen sorgen mit ihrer jeweiligen Textur für schlichtes Gartendesign. Die Vielfalt an Materialien lässt verschiedenste Gestaltungen zu, die durch die abgestimmte Bepflanzung besondere Effekte erzielt.
- Farbiger Kies wurde schon in den Parterres und Knotengärten von Schlossgärten als rein dekoratives Element verwendet. Kleine Steine, lose geschütteter Kies oder Schotter verschiedenster Körnung dienen auch heute als edler und praktischer Bodenbelag. In japanischen Zengärten umspülen ausgesuchte Pflanzen die typisch geharkten Ozeane aus Kies.
- Ziegelbruch ist eine kostengünstige Variante zur Flächenabdeckung aber auch als begehbarer Bodenbelag. In unterschiedlicher Körnung und Farbnuancen harmoniert der erdfarbene Farbeindruck dabei besonders gut zum Farbenspiel der Vegetation. Im Vergleich zu Kies spüren Beikräuter in verwitternden Ziegelsplittern allerdings leicht die darin gespeicherten Wasservorräte auf.
- Lavagranulat: Wegen seiner hohen Wasserspeicherkapazität wird Lavagranulat vor allem an städtischen Extremstandorten wie Baumalleen eingesetzt. Neben der ansprechenden Oberflächenabdeckung bildet das auch in der Steiermark abgebaute Material, eine ernst zu nehmende Variante zu konventionellen Abdeckungen. Ihn bedeckt halten, hat für den Boden so gesehen nur positive Auswirkungen.
Auch im Naturgarten lassen sich diese verschiedenen Materialien gestalterisch einsetzen. Der „Gold und Silber“-Garten auf der GARTEN TULLN besticht durch die großflächige Aufteilung in Form eines Yin-Yang-Zeichens - mit Ziegelsplitt auf der einen und silbrig grauem Gesteinssplitt auf der anderen Seite.
Für die eigene Planung ist es empfehlenswert, gerade in Zeiten des Klimawandels den Hausverstand einzusetzen und einen steinbetonten Zengarten mit Bereichen ohne Bepflanzung eher im schattigen Innenhof oder unter einem großen Baum anzulegen als im brennheißen sonnigen Vorgarten. Ein Kiesweg oder gewalzter Belag aus Bruchsand (Wassergebundene Decke) anstelle von betonierten Wegen nimmt Niederschläge auf, und das kostbare Nass kann im Untergrund gespeichert werden, statt wegzufließen. Auf Plastik im Garten sollten wir weitgehend verzichten - auch auf das Vergraben von Folien unter Mulchdecken - und stattdessen Einklang finden mit den Lebewesen, die uns umgeben. Wenn wir ihnen schon durch den Bau neuer Straßen, Einkaufs- und Industriegebiete Blumenwiesen und andere Refugien entziehen, können wir ihnen im Vorgarten etwas zurückgeben durch eine insektenfreundliche Pflanzenwahl.
Fotos: „Natur im Garten“ (Benes-Oeller, Leithner, Hirner, Liehl-Rainer, Streicher, Weber)