Gemüse aus dem Hinterhof
“Unkrautfreie” Wege durch Ernte
Der Frühling erfreut uns im Garten und auf dem Balkon mit wärmenden Sonnenstrahlen, fröhlichen Blüten und vitaminreichem Grün. Die beste Nachricht: Für gesundes Wildgemüse braucht man gar nicht einmal irgendetwas tun, außer es zu ernten – und das zu einer Zeit, zu der im Gemüsegarten außer Vogerlsalat, Topinambur und überwintertem Grünkohl nicht allzu viel zu holen ist.
Derzeit gibt es bei mir jeden zweiten Tag köstlichen Blattspinat aus einer Mischung von Bärlauch, Scharbockskraut und Giersch – fallweise noch ergänzt mit den frischen Triebspitzen von Brennnesseln. Sie ersetzen mir das Scharbockskraut, sobald es in Blüte geht...
Jetzt aber sprießen vor allem die erstgenannten im schattigen Hinterhof aus allen Ritzen, auch zwischen den Steinplatten der Gehwege, die einfach nur in die Erde gelegt wurden. Mit jeder Mahlzeit mache ich ein kleines Stück davon frei und wieder gut betretbar, indem ich alles Grün abschneide oder sogar herausreiße und für den Genuss die erdigen Stielenden entferne. Scharbockskraut, Bärlauch und Giersch sind nämlich Meisterinnen der Ausbreitung…
Einen großen Bogen mache ich dabei um den hochgiftigen Lerchensporn und ebensolchen Aronstab. Sie erheben sich zwar gut ersichtlich weit über die essbaren Kräuter, doch eine eventuelle Verwechslungsgefahr von Aronstabkeimlingen mit Scharbockskraut ist mir zu heikel. Auch als passionierte Wildkräutersammlerin, kommt mir nur auf den Teller, was ich ohne Zweifel bestimmen kann. Eine erfreuliche Draufgabe für jeden Salat hingegen liefern die Blüten von Veilchen, Schlüsselblumen, Gänseblümchen und Gundelrebe.
Scharbock war übrigens einmal eine Bezeichnung für den Skorbut oder Vitamin-C-Mangel, der in früheren Jahrhunderten die Menschheit hierzulande am Ende des Winters oder auf langen Schiffsreisen heimsuchte bis hin zum Zahnausfall. Das Scharbockskraut hat mit seinem hohen Vitamin-C-Gehalt Abhilfe geschaffen und so seinen Namen erhalten. Geerntet wird es nur, solange es nicht blüht. Danach ist sein Aroma nicht mehr so fein. Und nicht nur das: es entwickelt dann zunehmend Giftstoffe. Empfindliche Personen sollten auch vor der Blüte maximal eine Handvoll Scharbockskraut am Tag zu sich nehmen.
Ein allerliebstes, gänzlich harmloses Osternest hingegen bildet die Vogelmiere mit ihren hellgrün-weichen Teppichen – sogar auf Trögen und Töpfen.
Seine Triebspitzen mit ihrem milden, erbsenähnlichen Geschmack haben einen Fixplatz in meinem Frühlingssalat, gemeinsam mit jungen Löwenzahnblättern.
Im lichteren Hinterhof eines Freundes findet sich auch Behaartes Schaumkraut, eine wilde Verwandte der Kresse mit senfscharfer Note. Fast alle Rasenkräuter sind essbar, nur nicht der Hahnenfuß. Allein an Rasen mangelt es in schattigen Hinterhöfen. Die Kräuter sind hier eine gute Alternative. Und natürlich gilt: bitte nur Kräuter ernten und essen, die ihr ganz sicher erkennt und - wenn außerhalb des eigenen Gartens oder Hinterhofs gesammelt - besser nicht nahe der Straße, auf frisch gedüngten Feldern oder an durch Hundeurin verunreinigten Stellen.
In sicherer Höhe sind vergleichsweise die Knospen und ganz jungen Blätter vieler Bäume. Auch sie kommen schon bald auf den Speiseplan, sind aber leider ebenfalls Mangelware in meiner Umgebung. Ein Waldspaziergang könnte Abhilfe schaffen: Eichen und Buchen liefern leicht säuerliche Salate. Das junge Laub von Linden, Ahorn und diversen Obstbäumen schmeckt nicht nur dem Wild und dem Vieh. Kirschenknospen haben sogar Kirscharoma. Ein Salat aus jungen Lindenblättern ist eine besondere Delikatesse. Und Linden finden sich glücklicher Weise auch in meinem näheren Umfeld: einerseits Austriebe am Stammfuß der Hinterhoflinde, was zwar nicht das beste Zeichen für die Baumgesundheit darstellt, aber die Ernte erleichtert, andererseits ein ungebetener Lindensämling im Topf einer sibirischen Kiefer, der – an sonnig-milder Stelle bereits weiter entwickelt – jetzt schon eine kleine Kostprobe liefert mit seinen überaus zarten, milden Blättern – sehr bekömmlich…
Aber zurück zum wilden Blattspinat – denn hier ist jetzt wirklich reichliche Ernte an der Tagesordnung. Und so wird er gemacht:
Die frisch geernteten Kräuter waschen, grob hacken, in eine große Pfanne mit etwa 2 EL Öl oder etwa Butter häufen und vorsichtig salzen. Achtung, es schaut vor dem Kochen nach mehr aus, als es ist. Die Blätter fallen sehr stark zusammen und es passiert leicht, sie vorher zu versalzen. Unter Rühren (bzw. Schieben mit dem Holzschieber) ein paar Minuten kräftig anbraten bzw. mit dem Deckel drauf andünsten mit gerade so viel Flüssigkeit, dass nichts anbrennt. Fertig.
Mit Reis, Pasta oder einem guten Brot genießen, pur oder als Beilage. Eine roh in hauchdünne Scheiben geschnittene Topinamburknolle bringt ein wenig saftig-knackigen Biss hinein. Und die Reste von gestern – Hühnercurry und Zitroniger Palmkohl mit Mandeln dürfen auch mit auf den “Thali-Teller”.
Wer es lieber klassisch mag: wilder Blattspinat mit Röstkartoffeln und Spiegelei ist auch einfach köstlich.
Guten Appetit!
Wir sehen uns im Hinterhof…
Fotos: „Natur im Garten“, Leithner